Context März 2021 Der liebliche Garten und die bittere Saat

Es war einmal ein kleiner, lieblicher Garten, in einer grünen Oase hinter einer weißen Düne irgendwo im leeren Viertel (al-Rubʿ al-khālī). Der liebliche Garten war voller reicher, dunkler Erde, ein kleiner Wasserkanal floss lustig plätschernd hindurch. Die Morgensonne erwärmte die Erde des Gartens, die Palmen schützen sie vor der gleißenden Mittagssonne. Viele gute Pflanzen, Blumen und Früchte würden in diesem Garten wachsen und die vorbeiziehenden Beduinenfamilien erquicken und ernähren. Darauf freute sich der liebliche Garten. Aber eines Morgens zur Zeit der Aussaat kam der garstige Gärtner, der den Garten gepachtet hatte und pflanzte eine bittere Saat ein, die Saat des „Du bist nur eine Frau“-Busches. Die Mutter einer in der Nähe campierenden Beduinenfamilie sah die fahlen Kerne und fragte den garstigen Gärtner, was er da tue. „Das geht dich gar nichts an,“ fauchte dieser „in meinem Garten kann ich tun und lassen was ich will.“ Am Nachmittag schickte der garstige Gärtner dann seinen krummen Knecht, damit dieser die fauligen Kerne des „Du bist nutzlos“-Strauches einpflanzte. Am nächsten Tag folgten die besonders tief wurzelnden Setzlinge des „Wenn du das tust, kommst du ins Feuer“-Baumes, danach die „Mach uns nur keine Schande“-Staude und die Samen des „Du bist allein“-Stinkkrautes. Einige Tage und Wochen tat niemand etwas in dem immer noch lieblichen Garten mit der würzigen Erde. Die gepflanzten Büsche, Kräuter, Stauden und Bäume gruben ihre Wurzeln tief und tiefer ein. Dornen wucherten über die unbepflanzten Flächen. Ab und zu kam der Gärtner vorbei, sah von oben auf den Garten und grummelte: „Was für ein häßliches Stück Erde.“ Er stocherte dann ein wenig mit seinem Stab im Gestrüpp, „Nicht einmal Früchte zum Verkaufen bringst du mir ein.“ So baute er eine Mauer um seinen Garten, damit niemand diesen „Schandfleck“ sehen könnte. Der liebliche Garten war verzweifelt. Nach ein paar Tagen ritt ein wilder Wüstenprinz auf einer weißen Kamelstute vorbei. Er sah die Mauer und das Gestrüpp, roch aber auch die würzige Erde, wurde neugierig und kam näher. In der Nacht stieg er heimlich über die Mauer und pflückte ein paar winzige Beeren des fein-gliedrigen Beerenstrauches, der sich durch die Dornen hindurchdrängt hatte als der liebliche Garten den wilden Wüstenprinzen heranreiten sah. Am nächsten Morgen suchte er den garstigen Gärtner  „Friede sei mit Dir, ehrwürdiger Scheich,“ rief er ihm zu. „Wem gehört der Garten, dass ich ihn kaufen und pflegen kann?“ Gift und Galle und unverständliche Flüche um sich schleudernd rannte der garstige Gärtner dem wilden Wüstenprinz hinterher und drohte ihm mit seiner scharfen Sense. In seiner Ehre gekränkt schwang sich der nicht mehr so wilde Wüstenprinz auf sein weißes Kamel und verschwand schnell zwischen den Palmen. „Der Garten so eines Gärtners ist wirklich unter meiner Würde. Was sollen denn meine Stammesleute denken?“ Nun schien sich die letzte Hoffnung des lieblichen Garten wie eine Fata Morgana in der Ferne aufzulösen.

Nach ein paar Wochen kam der sanfte Sultan, dem das ganze Land gehörte, in die Oase. Er trat an die Mauer heran und blickte in den lieblichen Garten. Als er das Gestrüpp sah, die Dornen und giftigen Bäume weinte er. Eine Träne fiel auf einen unbepflanzten Fleck, befeuchtete die immer noch reiche Erde und lies ihren würzigen Duft in die Nase des sanften Sultans und der lagernden Beduinen steigen. Dieser Duft erfüllt ihre Herzen mit großem Glück.

Am nächsten Tag machten der sanfte Sultan und seine kecken Kinder sich an die Arbeit. Dornenstrauch um Dornenstrauch, Staude um Staude, Baum um Baum mussten sie herausreißen. Die Mauer Stein um Stein abtragen. Das schmerzte den lieblichen Garten und er hatte Angst davor, dass seine reiche Erde nackt, bloß und hässlich vor aller Augen liegen würde. Und wie würde es sein nicht mehr den Schutz der Mauer zu haben? Würde ein Feuer kommen und ihn bestrafen, wie der Gärtner es angedroht hatte? „Mein lieblicher Garten,“ sprach dann der sanfte Sultan, „wenn wir diese bitteren Gewächse nicht herausreißen, können wir keine duftenden Blumen, würzigen Kräuter und kräftige, süße Früchte tragenden Bäume pflanzen; die Beerensaat in deiner Erde hätte keinen Platz um sich zu entfalten. Wenn wir die Mauer nicht einreißen, kann niemand hineinkommen und gießen und pflücken und sich erfreuen.“ Dem lieblichen Garten fiel das sehr schwer. Immer wieder saßen der sanfte Sultan und seine kecken Kinder unter den Palmen am Rande des Gartens, sprachen mit ihm und sangen, erzählten ihm Geschichten von anderen Gärten und ließen das lustig plätschernde Wasser aus dem Kanal die reiche Erde erfrischen. Ein bisschen wagte der liebliche Garten wieder zu hoffen. Eines Tages würden die bittere Saat verschwunden, die Löcher von den ausgerissenen Bäumen zugeschüttet sein, und die reiche Erde duftende Blumen, würzige Kräuter und kräftige, süße Früchte tragende Bäume hervorbringen. Und der liebliche Garten würde die vorbeiziehenden Beduinenfamilien erquicken und ernähren ... und sich freuen.

Der garstige Gärtner wetterte noch dann und wann von ferne und warf seine giftige Saat in Richtung des lieblichen Garten. Aber die bitteren Kerne konnten in der reichen Erde keine Wurzeln mehr treiben.