Context 2017 Ausgabe 03 Herausforderung Jesusnachfolge
wovon lassen wir uns leiten?

In einer Zeit, in der alles Extreme ausbalanciert und die gesellschaftliche Norm der angepassten „Correctness“ über allem steht, geraten auch Christen unbewusst in das Fahrwasser der Anpassung. Was bedeutet kompromisslose Jesusnachfolge heute? Wer sich unvoreingenommen auf diese Frage einlässt, könnte überrascht werden.

Nur mit meinem Handgepäck und einer kleinen Laptoptasche checke ich an einem Flughafen in Deutschland ein. Bei der Sicherheitskontrolle sagt man mir, an meiner kleinen Tasche müsse ein Sprengstofftest durchgeführt werden. Ich solle sie kurz öffnen. Mit einer kleinen Chipkarte wird sie innen abgewischt. Das Gerät, das die Karte ausliest, warnt laut: Piep, piep, piep ... Rechts und links tauchen neben mir plötzlich zwei Polizisten auf: „Wir müssen Ihre Tasche untersuchen, sie hat Sprengstoffalarm ausgelöst.“ Kurze Zeit später halten sie ein großes schwarzes Buch in der Hand. „Dieses Buch hat den Alarm ausgelöst.“ „Was, meine Bibel?“, frage ich zurück. „Sind sie Priester oder Pfarrer?“ „Naja, so was Ähnliches.“ Die Polizisten fangen an, die Seiten durchzublättern. „Schon mal in der Bibel gelesen?“ frage ich sie. „Das ist nämlich wie Sprengstoff, da stehen radikale Sachen für unser Leben drin.“ Ein leichtes Grinsen. Nein, sie hätten schon lange nicht darin gelesen. Kurze Zeit später kann ich alles wieder einpacken. Ich muss dabei sehr schmunzeln: Meine Bibel hat tatsächlich Sprengstoffalarm ausgelöst.

Jesu Kompromisslosigkeit

Auch wenn das Bild nicht völlig passt, waren viele der Aussagen Jesu in der damaligen Zeit wie Sprengstoff - und sind es bis heute geblieben. Jesus wirft mit seinem Reden und Handeln gesellschaftliche Normen über den Haufen, prangert Religiosität und frommen Schein an, fordert radikale Nachfolge von denen, die Gottes Kinder sein wollen. Bei Jesus blieb kein Stein auf dem anderen. Er hat herausgefordert, provoziert, den Status Quo nahezu aufgesprengt, seine Zuhörer hielten den Atem an. Was lösen die Worte Jesu in uns aus? Große Freude darüber, in Jesus so ein Vorbild zu haben und jetzt herausgefordert zu sein? Ungeduld, Jesus nachzueifern und seine Worte umzusetzen? Oder ist es eher das Empfinden des Unbehagens, der Ohnmacht oder sogar Verzweiflung? Und überhaupt, kann man diese Verse heute noch so sehen? Muss man nicht den kulturellen Kontext beachten und erstmal eine vernünftige Exegese machen?

»Jesus wirft mit seinem Reden und Handeln gesellschaftliche Normen über den Haufen, prangert Religiosität und frommen Schein an, fordert radikale Nachfolge von denen, die Gottes Kinder sein wollen.«

Jesusnachfolge hier und dort

Ich möchte an dieser Stelle einfach einige Beobachtungen formulieren, die mich sehr nachdenklich gemacht haben – und teils gewagte Schlüsse ziehen, die vielleicht auch provozieren.

Die Mehrheit der Nachfolger Jesu lebt mittlerweile im Globalen Süden. Viele dieser Kinder Gottes leben und erleben die Worte Jesu unmittelbar. Wer Jesus nachfolgt, bekommt es mit den „Wölfen“ zu tun. Verfolgung bis zum Verlust des eigenen Lebens ist Teil der Nachfolge. Und trotzdem setzen sie alles auf Jesus, lassen sich bei allem Risiko taufen, lesen unter Gefahren die Bibel, treffen sich mit anderen Nachfolgern und laden andere ein, diesem Jesus auch zu folgen. Haben wir durch unsere Auslegung Worte Jesu für die westliche Kultur verdaubar gemacht und damit Jesus „weichgespült“?

Das evangelikale Jesusbild ist stark durch Geburt, Kreuz und Auferstehung geprägt. Klar, diese Fakten sind der wesentliche Kern. Aber haben wir vielleicht Nachfolge nur mit der Überzeugung deffniert, diese drei wesentlichen Ereignisse für wahr zu halten? Damit springen wir quasi vom Anfang der Evangelien direkt zum Ende. Aber was ist mit den vielen Kapiteln dazwischen, wenn Jesus sagt: „Lernt von mir“ (Mt 11, 29). Jesus nachzuahmen, so wie Paulus es tat, ist das Ziel (1 Kor 11, 1).

Viele westliche Gemeinden sind mehr von christlicher Kultur geprägt als von der täglichen, leidenschaftlichen Nachfolge Jesu selbst. Deshalb erleben wir diese auch nicht als liebevoll verändernden „Sprengstoff “, sondern nur als kleinen „Knallfrosch“. Was die Welt gerade jetzt braucht, sind nicht noch mehr Menschen, die sich einfach Christen nennen, sondern Menschen, die denken, reden und handeln wie Jesus.

Auswirkungen auf unsere Arbeit unter Muslimen

Vielleicht fragt sich der eine oder andere Leser an dieser Stelle, was das mit unserem Dienst unter Muslimen zu tun hat. Die Antwort ist: wirklich überraschend viel. Ich will kurz zwei Aspekte davon nennen.

Die eine Seite betrifft unsere Kommunikation mit Muslimen. Was bringen wir ihnen? Unsere westlich-christliche Kultur (von der wir uns sicher nie ganz befreien können) oder einfach Jesus? Müssen Muslime „Christen“ werden oder sollen sie einfach Jesus folgen? Jesus selbst hatte nicht im Sinn, eine Religion namens Christentum zu initiieren. „Folgt mir nach!“ Das war alles.

Und zweitens: Wer Jesus von Herzen nachfolgt, der hat immer etwas mit Mission zu tun. Das Vermächtnis Jesu war „Macht alle Völker zu Jüngern!“ (Mt 28, 19) und „Ihr werdet meine Zeugen sein ... bis ans Ende der Erde!“ (Apg 1, 8) Fast 2000 Jahre später gibt es noch immer unerreichte muslimische Volksgruppen, die bisher keine Chance hatten, von Jesus zu hören. An Gott liegt das nicht. Sollte es unsere Nachfolge sein? Ich glaube ja. Nachfolge ohne Mission ist keine Nachfolge.

Nachfolger Jesu, die keine Kompromisse machen – die wollen wir als Jesu Botschafter senden. Die Unerreichten warten schon zu lange.