Das Himmelreich ist wie ein Senfkorn, das auf ein Feld gesät wird. Es ist das kleinste von allen Samenkörnern, aber es wächst zur größten Pflanze heran und wird so groß wie ein Baum, sodass die Vögel in seinen Ästen Schutz finden.
Matthäus 13, 31-32

Freundlich streckt der Schlepper mir seine Hand entgegen. Ich wundere mich. Er ist alles andere als das, was mir bisher über die Schlepper berichtet wurde. Sein Gesichtsausdruck ist ermutigend, seine Geste einladend. Ein letztes Mal blicke ich zurück. Spuren des brutalen Krieges der letzten Jahre zeichnen das Land. Zerstörung wohin das Auge reicht. Ein letztes mal sehe ich die Kinder über die dürre, trostlose Ebene schlendern, viele von ihnen vaterlos und ohne Perspektive. Kriegskinder - so nennt man sie. Ein letztes mal atme ich den Staub ein, bevor ich mich umdrehe und endlich die Chance auf meine einzige Hoffnung ergreife: die Flucht nach Deutschland. Nur noch einen Sprung auf das Boot entfernt.
Wie friedlich die Flucht verläuft. Sie ist alles andere als das, was mir bisher über das Fliehen berichtet wurde. Der Weg scheint sorgfältig vorbereitet zu sein, meine Wegbegleiter wohlwollend und zugewandt. Ich spüre, wie die Anspannung der letzten Jahre abfällt. Tief atme ich die saubere Luft ein.
„Komm und sieh“, sagt der Schlepper. Wir sind also angekommen. Aber was ich sehe ist nicht Deutschland. Es ist grün und schön. Ich bin in einem Garten angekommen. Was hat das zu bedeuten? Auf Deutschland lag alle meine Hoffnung, dort wollte ich ein schönes Leben führen, meinen eigenen Kindern Hoffnung und eine Perspektive bieten. Aber das hier übertrifft alles, was ich mir jemals ausgemalt habe. Hier ist Frieden. Hier ist Freiheit.
Als ich aufwache und über meinen merkwürdigen Traum nachdenke, frage ich mich, ob Freiheit vielleicht mehr ist als das, was ich mir von Deutschland erhoffe.
Als Team arbeiten wir in Syrien mit den sogenannten Kriegskindern. Inmitten eines großen Wohnkomplexes haben wir vor 2 Jahren die Oase eröffnet: eine Begegnungsstätte für Kinder aus der Nachbarschaft. Jede Woche kommen diese Kinder zu uns, spielen zusammen und erleben Werte, die ihnen bisher niemand beigebracht hat: Vergebung statt Vergeltung, Liebe statt Hass, Miteinander statt Gegeneinander. Dabei ist es unsere Vision, dass diese Gegend wieder grün werden soll. Wörtlich und im übertragenen Sinne.
Hier, wo vermutlich einst der Garten Eden angrenzte, wo es einmal grün und fruchtbar war, ist es heute trocken und trostlos. Aber das soll nicht so bleiben. Gemeinsam mit den Kindern säen wir Samen aus und beobachten, wie diese keimen und langsam zu kleinen Pflanzen heranwachsen. Zuerst bei uns in der Oase, dann tragen die Kinder diese Pflanzen in zurechtgeschnittenen Plastikflaschen, die als Blumentöpfe dienen, in ihre Häuser. Hier und da fängt es an, wieder grün zu werden.
Das wünschen wir uns auch im übertragenen Sinne: Der Garten Eden war ein Ort, an dem die Menschen in enger Gemeinschaft mit Gott gelebt haben. Wie schön wäre es, wenn dieser Teil von Syrien zu einem Ort wird, wo die Menschen Gott begegnen und neue Hoffnung wachsen kann.
Es war so ermutigend für uns, als einer unserer einheimischen Mitarbeiter uns von diesem Traum erzählte. Wie schön wäre es, wenn er erlebt, dass er Freiheit und Hoffnung auch hier in Syrien haben kann: nämlich in der Begegnung mit unserem Vater. Dafür beten wir.